Romantik und Forstwissenschaft

Sonderausstellung vom 2. Juli bis 31. Dezember 2002 in Fürstenberg/Havel
DER FREISCHÜTZ
Der Wald und die erste deutsche Nationaloper von Carl Maria von Weber

Als am Abend des 18. Juni 1821 die Uraufführung von Carl Maria von Webers Oper „Der Freischütz” über die Bühne des Schauspielhauses am Berliner Gendarmenmarkt ging, tobte gerade ein Opernkrieg an der Spree: französisch-italienische Hofoper contra deutsche Nationaloper.

Prunkvolle Dekorationen und Kostüme, Handlungen von neckischen bis tragischen Liebesverwicklungen und eine kunstvolle, verspielte Musik unterhielt bis dahin Adel, Hofstaat und diejenigen, die sich gern in ihrer Nähe sahen. Ganz anders das aufstrebende Bürgertum – Handwerker, Industrielle, Wissenschaftler, die nach dem Sieg über Napoleon Kraft aus ihrer nationalen Gesinnung bezogen, konnte das in seinen Formen erstarrte und wirklichkeitsfremde Bühnengeschehen wenig reizen.



Das Königliche Schauspielhaus nach seiner Eröffnung 1821 (Berliner Gendarmenmarkt)



Theaterzettel der Berliner Uraufführung

„Der Freischütz” dagegen - mit Jägern und Bauern als Opernfiguren und einer illustrativen, fesselnden Musik - wurde geradezu enthusiastisch aufgenommen. Ein übervoller, tosender Saal, donnernder Applaus, Rufen nach dem Komponisten und Blumenregen. Und die Begeisterung hörte auch auf Berlins Straßen nicht auf, pfeifende Schusterjungen machten „Freischütz”-Arien und -Chöre zu Gassenhauern. Singakademie-Direktor Karl Friedrich Zelter soll gestöhnt haben, seine Tochter gehe mit dem „Jungfernkranz” zu Bett und stehe mit dem „Jägerchor” wieder auf. Und auch Heinrich Heine berichtete, nirgendwo in der Stadt könne man einem gesungenen oder gepfiffenen „Jungfernkranz” entgehen.

Bis 1884 wurde die Oper allein in Berlin 500 mal gegeben. Unzählige Aufführungen an deutschen Bühnen folgten, das Werk wurde in viele Sprachen übersetzt und hält sich bis heute fest im Opernrepertoire.

„Der Freischütz” gilt als die erste deutsche Nationaloper. Wenn schon keine einheitliche Nation nach Waterloo, dann wenigstens eine einige Kunst. Das Werk traf genau den Nerv der Zeit. Sujet und Musik waren dazu angetan, daß die Deutschen sich wiedererkannten, über die Grenzen hinweg nationale Identität empfanden.

Die Hauptrolle darin spielt der Wald.



3. Akt - Fürstliches Zelt im Wald.
Bühnenbild von Carl Gropius zur Uraufführung 1821 in Berlin
Weber hat zwei Sphären gestaltet: fröhliches, gesundes Jägerleben und das Walten dämonischer Mächte. Die schlichte Poesie des unverfälschten Naturraumes verwandelt sich in die unheimliche Sphäre des Dämonischen, in die der Jägerbursche Max gerät, weil er sich in der realen Welt verlassen glaubt. Bedrängt von rigiden Gesellschaftsnormen, in höchster Not, überläßt er sich den finsteren Mächten.

„Der Freischütz” berührt so noch eine andere Zeiterscheinung: die Lust am Grauen, die von den alltäglichen Nachkriegs-Schrecknissen ablenkt, diese abmildert und doch genau den Kern der Angst trifft. Nicht nur die Handlung, vornehmlich die Musik macht erlebbar, wie brüchig die heile Jägerwelt ist.

Ein musikalischer Geniestreich ist die Wolfsschluchtszene mit Klängen des Windesrauschen, Käuzchenruf, Pferdegetappel und grotestke Visionen des machtvollen Unheimlichen, Grauenvollen. Den Jägern hat der Komponist Hörnerklänge zugeordnet, schlichte, eindringliche Melodien gefunden, die er durch eifriges Studium von Volksmelodien fand. Das naturnahe Landleben charakterisieren Stimmungen, die Landschaft und Gemüt beschreiben: Lieder, kraftvolle Chöre, ländliche Tänze ebenso wie faszinierende Natur-Illustrationen.

Der Symbolgehalt des Waldes wie dessen Bedeutung für die Deutschen, von der Romantik sehr befördert, geht eigentlich auf des Römers Tacitus Berichte über die Germanen aus dem Jahre 100 v. Z. zurück. Vom Glauben der Germanen an ihren Ursprung im Dunkel der Wälder wird darin erzählt, von ihrer „heiligen Scheu” vor bestimmten Dickichten, von Baum-Kulten und rituellen Feiern in Hainen. Tacitus' „Germania”, die im 15. Jahrhundert wieder aufgefunden wurde, nutzten die Volkskundler für Mentalitätsbeschreibungen, Nationenvergleiche, Sozialtheorien und zitierten sie bis ins 20. Jahrhundert hinein als Quelle. Wie umstritten diese Quelle auch sein mag, bietet sie doch genügend Stoff für Mythen und Legenden. Die deutsche Literatur der Romantik ist voller Geschichten, in denen Elfen, Hexen und Drachen im Wald ihr Unwesen treiben. Und sie nährte die Vorstellung, daß der Wald für die Deutschen etwas ist wie für die Engländer das Meer.

Obwohl der deutsche Wald doch inzwischen weitestgehend ein gepflanzter und kultivierter ist, behauptet sich nicht zuletzt durch das separate Naturleben dort ein Eindruck von Urwüchsigkeit und Unberechenbarkeit. Sehr wohl um seine Nützlichkeit in wirtschaftlicher (Holz), ökologischer (Klima) und mentaler (Erholung) Hinsicht wissend vermischt sich Erlebtes und Erzähltes auch heute zu einem Waldgefühl, das Düster-Unbestimmtes wie Erfrischend-Ursprüngliches einschließt.


Eine der wesentlichsten Freischütz-Inszenierung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die von Ruth Berghaus an der Deutschen Staatsoper Berlin. Sie hielt sich 25 Jahre im Spielplan (1970 bis 1995). Die Aufführung überzeugte mit lebendigen, mitreißenden Massenszenen, glaubhaften Figuren und gab das rührende Biedermeier-Romantische der Lächerlichkeit preis. Im Bühnenbild von Andreas Reinhardt dominierte ein zauberhafter mächtiger graublauer Wald. 1. Akt: Bauern verspotten den unglücklichen Jäger Max. Foto: Marion Schöne


Am Opernhaus Halle/Saale inszenierte 1994 Roland Velte Webers „Freischütz” als Agathes böse Traumversion, in der sich vor allem ihre sozialen Ängste widerspegeln. Der sparsam angedeutete Wald wirkt hier überhaupt nicht illustrativ, sondern als Metapher psychischer Beunruhigung. 3. Akt: Jäger beim Probeschuß in Agathes Alptraum. Foto: Gert Kiermeyer

Einen Bogen vom Dreißigjährigen Krieg bis heute schlug 1999 an der Hamburgischen Staatsoper die Inszenierung von Peter Konwitschny. Drastisch wurden Klassengegensätze zwischen Bauern und Jägern gestaltet. Samiel ist hier kein waldschrätiger Bösewicht, sondern die aalglatte Type mit Aktentasche, die die Fäden in der Hand hält und die Dämonie der Wolfsschluchtszene fernbedient. Foto: Jörg Landsberg


Semperoper Dresden: „Freischütz” am 31. August 1944 war die letzte Aufführung vor der Bombardierung der Stadt die am 13. Februar 1945 auch das Opernhaus zerstört. 40 Jahre später markierte eine „Freischütz”-Premiere den Neubeginn nach dem Wiederaufbau der Semperoper. Die Inszenierung 2015 anlässlich des Opernjubiläums wurde auf den Opernvorplatz übertragen und geriet zum Volkskfest. Die Aufführung - Regie Axel Köhler, Musikalische Leitung Christian Thielemann - erhielt den Bachtrack Opera Award, die DVD der Inszenierung den japanischen Record Geijutsu Award 2016 und ist bis heute im Dresdner Spielplan. Foto: Matthias Creutziger
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