Romantik und Forstwissenschaft

Sonderausstellung vom 2. Juli bis 31. Dezember 2002
DER WALD ZWISCHEN ANBETUNG UND AUSBEUTUNG
Zum eher unromantischen Naturverhältnis von Wilhelm Leopold Pfeil und Carl Blechen

Preußen zu Beginn des 19. Jahrhunderts war gebeutelt von der militärischen Niederlage von Jena und Auerstädt und der nachfolgenden Okkupation durch Napoleons Truppen. Die unaufhaltsame kapitalistische Entwicklung machte dringend Reformen im noch vom Adel und seinen Interessen geprägten Staats- und Verwaltungsapparat nötig. Doch die reformwilligen jungen Intellektuellen, die größtenteils den Ideen der französischen Revolution anhingen, erlebten die durch deutsche Kleinstaaterei und deutsches Adelsprivileg gebremsten Entfaltungsmöglichkeiten. Und sie erfuhren schmerzlich die allgemeine Wertewandlung, die sich mit fortschreitender Industrialisierung vollzog. Profitgier, Anonymität, Entpersönlichung und Entfremdung wurden der Nährboden für romantische Ideen: sehnsuchtsvolle Rückbesinnung auf die scheinbar hohe Moral des Mittelalters, ein historisierendes Nationalbewußtsein, dem die Befreiungsbewegung zusätzlich Auftrieb gab, sowie die Flucht zur ursprünglichen und unverdorbenen Natur - in Anbetung ihrer Schönheit und unter Hinweis auf ihre Unberechenbarkeit und Bedrohlichkeit.

Im Berlin des Jahres 1821 gab es zwei Männer, die beide aus der großen romantischen Aufmerksamkeit für die Natur heraus Bedeutsame vollbrachten, das bis in unsere Tage wirkt: Einen 38jährigen Oberforstmeister, der in die Hauptstadt gerufen wurde, um künftig der Preußischen Forstakademie vorzustehen und einen jungen Mann aus Cottbus, der gern zeichnete und malte und dessen Vater ihm eine Banklehre in Berlin bestimmt hatte. Der eine verwies in seiner Anttrittsrede auf die „Wichtigkeit der Wälder für die Existenz ganzer Völker und ihres Kulturzustandes" und die dringend notwendige Ausbildung von Forstleuten, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht. Der Andere machte wenig später auf den Kunstausstellungen der Berliner Akademie Furore mit seinen dramatischen Landschaftsbildern, die den Wald nicht nur als idyllisches Standardmotiv zeigten.

CARL BLECHEN
Die Bilder des „Lichtdramatikers” und „unvergleichlichen Skizzierers” Carl Blechen provozierten und faszinierten zugleich. Denn im Gegensatz zu den meisten seiner Maler-Kollegen hat er die Natur nicht als modisches Sujet gesehen, sondern sie tief erlebt und seine Gemütsbewegungen mit Phantasie und mit Kenntnis nacherlebbar gemacht. Dafür nutzte Blechen als einer der ersten deutschen Maler die eigenständigen Qualitäten der Skizzenform und setzte sie auch in Gemälden um. Seine wahrhaftige, unschwärmerische Naturbewunderung kann der Betrachter auch heute nachvollziehen, sie gab der deutschen Malerei entscheidende Impulse.

Bereits 1824 lobte ihn die Kritik, seine Malerei „verdient, nach solchen Meisterwerken von Caspar David Friedrich genannt zu werden”. Doch sie war auch verunsichert. Das Großformat „Semnonen rüsten zum Aufbruch gegen den Andrang der Römer” erregte auf der Ausstellung der Berliner Akademie 1828 großes Aufsehen. Blechen greift zwar auf das romantische Thema germanischer Vorgeschichte zurück und genügt damit einem Anspruch der Zeit. Doch die Krieger in historischer Kleidung wirken eher fremd bei diesem Blick von den Müggelbergen, die in der Malweise Blechens dagegen vertraut erscheinen. Der Wald ist es, der hier Raum, Licht und Atmosphäre des Bildes bestimmt. Keinem Maler vor Blechen ist es gelungen, dessen typisch märkische Züge so treffend zu erfassen.

Die Lebendigkeit, ja Dramatik in seinen Landschaften ensteht durch Farb- und Lichtspiele und die scheinbare Zufälligkeit des Ausschnitts. Sie unterscheidet die meisten seiner Bilder von den damals üblichen. Auf diese Weise Einzigartiges, Typisches und Stimmungsprägendes ausdrücken zu können und zu wollen und sein Sinn für das Ungewöhnliche, aber Wahrhaftige machten Blechens großes Talent aus und ließen ihn die weitere Entwicklung deutscher Malerei vorwegnehmen.

Das Erlebnis des sonnigen Italiens machten ihn erst recht zu einem Meister der athmosphärischen Lichtkontraste. Den Berliner Maler Adolph Menzel haben Blechens Bilder stark beeinflußt - die märkischen Wald-Bilder, von denen heute die meisten im Niederlausitzer Landesmuseum Cottbus zu sehen sind, und noch mehr die späten Blechen-Bilder, die in der Berliner Alten Nationalgalerie hängen. „Walzwerk Neustadt-Eberswald” entstand um 1834. Öl auf Holz, etwa 25 mal 33 Zentimeter groß, zeigt das am Finowkanal gelegene Messingwerk, eine der ersten metallverarbeitenden Fabriken der Mark Brandenburg. Bleiernschwere Rauchwolken quellen aus den Schloten in den klaren Abendhimmel, spiegeln sich dunkel im Fluß, an dessen baumbestandenen Ufer Fischer die Netze einholen – eine Idylle, eine Bedrohung, Abbild nebeneinander bestehender Tatsachen und eine der frühesten malerischen Darstellungen von Industrie in Europa. „Man fühlte die Gewalt der Wahrheit in diesen landschaftlichen Charakterbildern, aber die meisten sträubten sich, sie anzuerkennen”, hieß es 1840 in der Gedenkrede zum Tode Carl Blechens.



Carl Blechen.Walzwerk Neustadt-Eberswalde.
Um 1834. Öl auf Holz. 255 x 330 mm
Alte Nationalgalerie Berlin










Carl Blechen. Selbstbildnis. 1835
Kohle, Kreide, Tusche. 310 x 250 mm
Kupferstichkabinett Berlin




FRIEDRICH WILHELM LEOPOLD PFEIL
Auch Friedrich Wilhelm Leopold Pfeil hatte in der Universitätsstadt Berlin mit Ignoranz und sehr einseitigem Natur-Verständnis zu tun. Im Harz geboren und ausgebildet, arbeitete Pfeil zunächst in Schlesien und ab 1816 als Forstmeister im Dienst des Fürsten zu Carolath an der Oder. 1821 erfolgte die Berufung nach Berlin an die Preußische Forstakademie, als dessen Direktor er sich bis 1859 unermüdlich für die Einheit von Ökonomie und Ökologie des Waldanbaus einsetzte. Wenige Tage nach der umjubelten Uraufführung von Carl Maria von Webers romantischer Oper „Der Freischütz” im Juni 1821 hielt er im Großen Hörsaal der Universität seine Antrittsrede als Direktor der Preußischen Forstakademie. Seine zentrale These lautete: wider die Entfremdung von der Natur auf wissenschaftlicher Grundlage. So referierte er über die Wichtigkeit einer fundierten Ausbildung des Forstmannes für das Nationalwohlsein und über rechtliche Maßnahmen einer sowohl ertragsorientierten als auch regenerativen Holzwirtschaft. Pfeils Zielstellung von einem „volksthümlichen Wald” hatte – mit Abstand betrachtet – gewiss einen größeren Nutzen zugunsten der deutschen Nation als „Jägerchor” und „Durch die Wälder, durch die Aue” aus dem „Freischütz”, die lange Zeit Berlins Cafehäuser und Plätze beherrschten.

Seine Ausführungen fanden nicht nur Zustimmung, sein Engagement für eine Wissenschaft, die künftigen Waldbau steuern soll, wurde auch belächelt. Unter Wissenschaft verstanden viele adlige Gelehrte ausschließlich die philologischen Altertumsforschungen oder die Philosophie, aber niemals Untersuchungen zu solch „gemeinen" Themen wie Wald und Waldanbau. Der promovierte Forstmann aber verwies auf die „Wichtigkeit der Wälder für die Existenz ganzer Völker und ihres Kulturzustandes” und auf eine voranschreitende Verwissenschaftlichung menschlicher Lebensgestaltung. In Kenntnis spezieller Theorien wie Handelsbilanz- und Bodenproduktionslehre verknüpfte er allgemeinste nationalökonomische Gesichtspunkte mit der eigentlichen Kraftquelle seiner Arbeit: der genauen Beobachtung des Waldes.

Preußen, dessen 1,6 Millionen Hektar Wald im Jahre 1820 etwa 32% der Landesfläche einnahmen, war nach den Kriegshandlungen und der Besetzung durch Napoleons Truppen stark geschwächt. Versorgungsnot zum einen, sich entwickelnde Industrie zum anderen sollten den Holzbedarf weiter erhöhen – die Notwendigkeit einer Reorganisation der Forstverwaltungen war offenbar. Friedrich Wilhelm III. hatte sich bereits bei seinem Amtsantritt 1797 um die Landeskultur verdient gemacht und erkannt, dass sorgende Waldpolitk und auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Waldwirtschaft nicht zu trennen sind. Die Vorlesungsstätte für Feldjäger und Forstanwärter, die in Berlin von 1770 bis 1806 existierte, fand 1821 mit der Gründung der Preußischen Forstakademie der Berliner Universität eine qualitativ deutlich höhere Nachfolge.

„Darum aber beschränkt man auch die todte Wissenschaft, um der lebendigen Raum zur leichteren Entwickelung zu geben”, kommentierte Pfeil. Fortan ersetzten genaue Taxation, Vermessung der Forsten mit Karten, exakte mathematische Berechnung der Areale, Verzeichnis der Art des Bewuchses und der jeweiligen Bodenqualität Augenmaß und geschätzte Erfahrungswerte. Die Nutzung der Wälder wurde ökonomisch berechenbar und dem Raubbau konnte dank wissenschaftlicher Erkenntnisse entgegengewirkt werden. Das Prinzip der Nachhaltigkeit, dass nur soviel Holz geerntet werden darf wie nachwachsen kann, wurde als ein ethisches und zugleich ökonomisches Richtmaß durchgesetzt.



Wilhelm Leopold Pfeil (1783-1859)


Die Forst-Academie zu Neustadt-Eberswalde um 1830.
Zeitgenösischer Stich. Stadtmuseum Eberswalde


1830 zog die Forstakademie zur praxisnahen Forschung und Lehre ins brandenburgische Neustadt-Eberswalde. Auf ein 90jähriges Bestehen kann sie 2011 zurückblicken. Die heutige Landesforstanstalt Eberswalde arbeitet eng mit Forstämtern, mit nationalen und internationalen Vereinen zum Schutze der Wälder sowie mit renommierten forstwissenschaftlichen Institutionen in aller Welt zusammen. Bis 2006 wurde in Eberswalde ein Wilhlem-Leopold-Pfeil-Preis vergeben, der europäische Wissenschaftler und Praktiker ehrte, die sich um beispielhafte Waldwirtschaft im Sinne der Landeskultur verdient gemacht haben.

Dass Wald nicht nur Holz bedeutet, wussten auch schon die Forstmänner des 19. Jahrhunderts. Wie sehr die Menschen vor allem die von ihm produzierte Luft zum Leben brauchen, ist errechnet worden, und internationale Abkommen zum Schutze der Wälder werden international angestrebt. Was das üppige, vielfältige Grün, Waldgeräusche und Waldduft fürs menschliche Gemüt bedeuten, haben die besten Dichter, Maler und Musiker der Romantik sinnfällig gemacht.

Der irrwitzige Gegensatz von romantischer Anbetung und kapitalistischer Ausbeutung der Natur im 19. Jahrhundert wird vielleicht nirgendwo so deutlich wie beim Thema Wald.